Gerd Schröder zum 75. Geburtstag

Gestern hat Gerhard Schröder seinen 75. Geburtstag gefeiert. Es gibt wenige deutsche Politiker, die so polarisieren können wie er, aber auch wenige, die in den letzten Jahrzehnten eine solche Bedeutung erlangt haben. Schröder war acht Jahre lang Ministerpräsident von Niedersachsen, sieben Jahre Bundeskanzler, fünf Jahre SPD-Vorsitzender. Kein anderer Politiker hat in der Bundesrepublik fünf Wahlen hintereinander gewonnen (drei Landtagswahlen und zwei Bundestagswahlen). Und bei aller Kritik – nach Gerhard Schröder hat die SPD in den letzten anderthalb Jahrzehnten nie wieder ähnlich viel Zustimmung in der Bevölkerung gehabt.

Meine erste persönliche Begegnung mit ihm endete gleich mit einem Krach. Das war 1991, kurz bevor ich Vorsitzender der hannoverschen SPD wurde: Hannover hatte den Zuschlag für die Weltausstellung EXPO 2000 erhalten und das Thema war in der Bevölkerung höchst umstritten. Deswegen wollte die lokale SPD einen Bürgerentscheid durchsetzen, was der Niedersächsische Ministerpräsident überhaupt nicht witzig fand. Den Bürgerentscheid gab es am Ende doch (mit einer knappen Zustimmung), aber vor allem hatte ich die Erfahrung gemacht, dass gut begründeter Widerspruch bei Schröder mehr Respekt auslöste als jedes Hofschranzentum.

Was diesen bemerkenswerten Politiker wirklich immer ausgemacht hat, war ein unbändiger Gestaltungs- und damit auch Machtdrang. Die Anekdote von dem jungen Abgeordneten, der in Bonn nach einem langen Abend am Zaun des Bundeskanzleramtes rüttelt und „Ich will hier rein!“ ruft, ist eben nicht erfunden. In der Landespolitik (nach vierzehn Jahren Ernst Albrecht) und der Bundespolitik (nach sechzehn Jahren Helmut Kohl) hat er gewissermaßen die Fenster aufgemacht und die Politik modernisiert.

Vieles, was damals beschlossen wurde, erscheint heute selbstverständlich, was es aber beileibe nicht gewesen ist. Lebenspartnerschaften und ein modernes Staatsbürgerrecht waren für viele Konservative so etwas wie der Untergang des Abendlandes. Der Ausstieg aus der Atomenergie und der Einstieg in die Erneuerbaren Energien waren tiefgreifende Reformen und manche Fehler der späteren Energiewende wären Schröder mit Sicherheit nicht passiert.

Anlass zur Kritik hat Gerd Schröder aber auch immer reichlich gegeben. Das gilt vor allem für die Agenda-Reformen, an denen sich bis heute die Geister scheiden. Für die einen ist Schröder ein bedeutender Sozialreformer, der den damaliger „kranken Mann Europas“ wieder flott gemacht hat. Für die anderen waren die Hartz-Gesetze nichts anderes als Sozialabbau. Vor allem die Behandlung älterer Beschäftigter hat bei vielen Betroffenen das Gefühl einer tiefen Ungerechtigkeit ausgelöst. Schröder selbst hat diesen Streit auf ziemlich typische Weise kommentiert: „Die Agenda sind nicht die zehn Gebote und ich bin nicht Moses!“ Was wohl so viel heißt wie: Was sich bewährt, soll bewahrt und das andere eben geändert werden. (Erst) fünfzehn Jahre später hat die SPD das vor wenigen Monaten mit ihrem neuen Sozialstaatskonzept richtigerweise getan.

So ähnlich ist es auch mit der internationalen Politik. Dass Schröder Deutschland aus dem Irak-Krieg herausgehalten hat, der auf Lügen der CIA beruhte, rechnen ihm viele Menschen bis heute hoch an. Aber den russischen Präsidenten Putin als „lupenreinen Demokraten“ zu adeln, stimmt so sicher nicht und hat ihm mit Recht ebenso viel Kritik eingetragen.

Als Gerd Schröder im Jahr 2005 mit einem Großen Zapfenstreich hinter dem hannoverschen Rathaus als Bundeskanzler von der Bundeswehr verabschiedet wurde, wünschte er sich den Sinatra-Song „I did it my way“. Das trifft bis heute den Nagel auf den Kopf. Hoffentlich reicht dieser Weg noch sehr lang – herzlichen Glückwunsch und alles Gute, Gerd!